Der am 7. Januar 2016 in der NZZ erschienene Artikel beleuchtet Spendensammlungen von Fundraising-Agenturen auf der Strasse.
«Sie haben etwas verloren», sagt ein junger Mann am Bahnhof zu einem vorbeieilenden Passanten. Dieser bremst, blickt zurück und fragt: «Was denn?» Darauf antwortet Ersterer: «Zeit.» Mit solchen Sprüchen versuchen Spendensammler mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Sie wollen Passanten von einer finanziellen Zuwendung oder einer kostenpflichtigen Mitgliedschaft in einer gemeinnützigen Organisation wie WWF, Greenpeace, Caritas oder Amnesty International überzeugen.
Dabei handelt es sich um eine deutlich anspruchsvollere Aufgabe, als es etwa das Verteilen von Gratismustern ist. Wenig überraschend hat beim Spendensammeln eine Professionalisierung eingesetzt. Auf den Strassen und in den Bahnhöfen sind also nur noch selten Freiwillige und ehrenamtliche Mitarbeiter unterwegs, sondern meist interne oder externe Angestellte. Laut einer Erhebung der Universität Freiburg für die Stiftung Zewo übernehmen sie 89% der Aktivitäten für die Mittelbeschaffung in Nonprofitorganisationen (NPO). Auch bei WWF und Greenpeace sind Profis am Werk. Trotzdem verfolgen die Werke unterschiedliche Strategien.
Der WWF Schweiz hat im Geschäftsjahr 2013/14 rund 49 Mio. Fr. an Erträgen eingenommen und verfügt über 200 Mitarbeiter und 1500 Freiwillige. Um die Finanzierung von Umweltschutzprojekten sicherzustellen, benötigt das Werk jährlich zahlreiche neue Spender. Dafür arbeitet es seit mehr als zehn Jahren mit der Agentur Corris zusammen.
Diese Kooperation ermöglicht dem WWF eine gewisse Flexibilität. Eigene Angestellte würden Fixkosten verursachen, und die Organisation müsste sie gleichsam das ganze Jahr über auf die Strasse schicken, damit sie ausgelastet wären. Zudem profitiere man durch die Auslagerung auch von Spezialistenwissen, erklären Vertreter des WWF. Die Kosten für diese Art der Mittelbeschaffung kommuniziert die Umweltorganisation nicht. Dem Geschäftsbericht ist aber zu entnehmen, dass 2013/14 für Marketing, Fundraising und Kommunikation gut 9 Mio. Fr. ausgegeben wurden, 19% der Kosten von 47,8 Mio. Fr.
Ein grosses Risiko einer solchen Externalisierung ist, dass die Mitarbeiter der Agentur durch forsches Verhalten den Ruf der spendensammelnden Organisation bei den Passanten schädigen. Dem begegnet der WWF, indem er die Corris-Mitarbeiter selber schult und regelmässig anonyme Besuche an den Ständen durchführt. Ferner gibt es keine Provision pro Abschluss für die auch als «Dialoger» bezeichneten Sammler. Auch die Agentur verfügt über Qualitätssicherungsmassnahmen.
Corris bezeichnet sich selbst aufgrund des Kundenportfolios von über dreissig NPO als Marktführer im Bereich Infostand-Kampagnen hierzulande. Die Firma gibt aber weder Umsatz noch Gewinn bekannt. Die Nachfrage und die Anzahl Auftraggeber würden aber wachsen. Corris bezahlt den Sammlern pro Tag einen Fixlohn von anfänglich 165 Fr. zuzüglich eines Bonus von zirka 20%. Dieser ist von der Anzahl und der Qualität der gewonnenen Gönner abhängig. Agenturen wie Corris, Wesser und Imis waren in der Vergangenheit aufgrund angeblich unvorteilhafter Arbeitsbedingungen in die Kritik geraten.
Greenpeace hat für die Mittelbeschaffung einen anderen Weg gewählt als der WWF. Seit 2009 arbeitet Greenpeace Schweiz nicht mehr mit Fundraising-Agenturen zusammen, sondern lässt eigene Mitarbeiter sammeln. Diese Strategie verfolgt die Organisation, die hierzulande 2014 Erträge von 26,5 Mio. Fr. generierte, weltweit. Im Vergleich mit den Profis der Agenturen generieren die eigenen Mitarbeiter im Durchschnitt zwar leicht niedrigere Einnahmen pro Angestellten, dafür sind Anstellung und Ausbildung günstiger, was die Mindereinnahmen kompensiert. Die eigenen «Dialoger» identifizieren sich zudem stärker mit Greenpeace, weil sie in die Organisation integriert sind. Ferner habe es seit dem Wechsel fast keine Reklamationen von Passanten mehr gegeben, und die Qualität der Arbeit sei gesteigert worden, so Greenpeace. Das zeige sich insbesondere in der besseren «Realisierung» von Spendenzusagen.
2014 spendete die Schweizer Bevölkerung laut der Stiftung Zewo insgesamt 1,7 Mrd. Fr. Welcher Anteil davon auf der Strasse gesammelt wurde, ist nicht bekannt. Markus Gmür, Professor für NPO-Management an der Universität Freiburg, schätzt, dass die Modelle von WWF und Greenpeace je von der Hälfte der NPO angewendet werden. Die Mittelbeschaffung zu professionalisieren, werde aber für alle rund 90 000 Schweizer NPO künftig noch wichtiger werden.
Autor und Quelle: Christoph G. Schmutz/NZZ, 7.1.2016